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Mount Whitney - Besteigung durch Thomas Bahr - Seite 2

Nach einer langen, kalten und windgeschüttelten Nacht im Zelt bricht irgendwann auch wieder der Morgen an. Ich war während der Nacht einmal kurz draußen. Die glasklare Luft, der Mond, die Sterne und die Berge bieten eine Kulisse wie ich sie lange nicht mehr gesehen habe. Allerdings nur für kurze Zeit, es ist sch....kalt. Jetzt taucht die Sonne wieder die Felszinnen der Keeler Needle in feuriges Licht.

thomasbahr.de Keeler Needle Sunrise

Mir ist kalt, meine Bergstiefel sind über Nacht steifgefroren und ich spüre meine Zehen binnen kurzer Zeit nicht mehr. Ich beschließe den Gipfelanstieg leicht zu begehen. Ich nehme nur zwei kleine Flaschen Wasser und ca. 10 Müsliriegel mit. Die Steigeisen sind angelegt, die Eisaxt in der Hand und in Gore Tex gehüllt ziehen wir los. Vor uns ist bereits eine Gruppe losgestiegen (im Base Camp haben sich insgesamt 5 Gruppen in dieser Nacht aufgehalten). Diese ist bereits in den Switchbacks und scheint nicht voranzukommen. Ich folge ihren Spuren und bringe die ersten Serpentinen hinter mich. An der Stelle die als die Cables bekannt ist, da diese mit Stahlseilen versichert ist kommt mir die andere Gruppe entgegen. Nach kurzem Wortwechsel erfahre ich, dass sie umgekehrt sind weil ihnen die steile vereiste Flanke zu gefährlich erschien. Da sie jedoch weder Steigeisen noch Eisaxt benutzt haben mache ich mir Hoffnungen trotzdem weiterzukommen. Wenn ich nicht weiterkommen sollte kann ich immer noch das steile Schneefeld neben den Switchbacks ausprobieren. Direkt hinter den Cables hören die Spuren der anderen Gruppe auf und es wird sehr steil. Der Schnee bildet hier eine Schräge mit ca. 40° welche zudem äußerst exponiert ist. Mir ist klar das ein Absturz hier schwerwiegende Folgen hätte, nach kurzer Abwägung beschließe ich dennoch weiter zu steigen da der Schnee fest ist und es kein blankes Eis ist. Auf dem windgepackten Schnee steige ich in einer S-Kurve durch den kritischen Bereich, immer darauf achtend das zwei Punkte im Schnee sind (zwei Steigeisen oder Steigeisen und Pickel).

Im Verlauf der Switchbacks finden sich noch eine Reihe weiterer steiler und exponierter Stellen doch ich fühle mich sicher und quere diese solo da ich inzwischen Deb deutlich hinter mir gelassen habe. Ich kann zwar Deb immer wieder einige Serpentinen unter mir sehen doch von Red dem dritten sehe ich nichts. Nach circa zwei Stunden habe ich die Switchbacks überwunden und erreiche Trail Crest (13.777 ft) und habe somit erstmals die 4000 m überwunden. Ich musste bis hier mir die ganze Zeit meinen eigenen Weg bahnen da der Neuschnee alles zudeckt und ich teilweise bis an die Knie einsinke. Ich mache hier für einige Minuten Pause, trinke etwas Wasser und esse einen Müsliriegel. Dabei genieße ich die Aussicht in die unberührten Tiefen des Sequoia National Park den ich hier betreten habe. Die Luft ist atemberaubend klar und die Sicht beträgt über 200 km.

thomasbahr.de Trail Crest 1 thomasbahr.de Trail Crest 2

Von hier sind es noch 2 Meilen zum Gipfel und etwas weniger als 300 Höhenmeter. Ich muss jedoch bald feststellen, dass hier wesentlich mehr Schnee angeweht wurde und es auch hier noch etliche exponierte Stellen gibt. Oftmals sinke ich bis über die Knie ein und bin nach 10 Schritten erschöpft. Die dünne Luft und die Anstrengung mir eine Pfad zu schaffen fordern inzwischen ihren Tribut. Ich habe schon lange niemanden mehr hinter mir gesehen und habe somit keine wirkliche Ahnung ob Deb aufgegeben hat oder mir noch folgt. Mein Vorankommen ist extrem langsam. Nach 1 1/2 Stunden hartem Kampf und am Rande meiner Kräfte komme ich unterhalb des Gipfelgrats an und kann die Smithsonian Hut sehen.

thomasbahr.de mt whitney gipfel hütte

Mir scheint die Hütte unendlich weit entfernt und es wird immer später. Ich fühle mich schwach und erschöpft, ich muss diese mörderische Strecke auch wieder zurück. Soll ich aufgeben? Ich beschließe es zu handhaben wie bei Himalayabesteigungen und mir eine Deadline zu setzen. Ich werde um 11:30 umkehren wenn ich bis dahin den Gipfel nicht erreicht habe. Somit habe ich 30 min Pause auf dem Gipfel und dann 5 Stunden Zeit bei Tageslicht für den Abstieg. Die Zeit rennt, ich hebe meine Füße nur soweit wie nötig und schleppe mich voran. Es ist bereits 11:15 und ich befinde mich irgendwo in diesem Gipfelgrat. Um Zeit zu sparen weiche ich vom Main Trail ab und steige ziemlich direkte Linie zum Gipfel über ein festes Schneefeld und später direkt über das Geröll das aus dem Schnee ragt.

11:30 Uhr: Ich habe es nicht bis zum Gipfel geschaft, ich bin irgendwo ziemlich direkt unterhalb und fühle mich wie 80. Ich sollte jetzt eigentlich umdrehen aber dann wären die letzten anderthalb Stunden elende Schinderei umsonst gewesen. Ich beschließe weiterzugehen und dafür meine Pause zu kürzen. Nach weiteren 5 oder 6 Minuten für vielleicht 300 Meter kann ich die Hütte sehen. Nach 4 Stunden und 25 Minuten habe ich es geschafft ich stehe auf dem Dach Kaliforniens. Ich will mich nur noch in das Gipfellog eintragen und dann hinsitzen. Die Tür ist aus der Hütte herausgenommen und es liegt ein halber Meter Schnee darin. Nirgends ein Gipfellog, naja erst mal Pause, suchen kann ich wenn ich etwas erholt bin. Nach 5 Minuten etwas Wasser und einem Müsliriegel gehe ich um die Hütte und schaue mir den Metalltisch vor der Hütte genauer an. Was ich vorher noch für nen bekloppten Picknicktisch gehalten habe ist aufklappbar und das Gipfellog. Ich trage mich ein und bin der erste Mensch seit einer Woche auf dem Gipfel des Mt Whitney. Ich esse, trinke und fotografiere die Aussicht. Die Gipfelplakette markiert den höchsten Punkt innerhalb der USA ohne Alaska und Hawaii.

thomasbahr.de gipfelpunkt thomasbahr.de gipfelhaus mt whitney

Offizielles Gipfelfoto - Thomas Bahr - Mt Whitney 12th Nov 2005

thomasbahr.de Thomas Bahr Mt Whitney

Um 12 Uhr mache ich mich auf den Rückweg. Circa 5 Minuten unterhalb des Gipfels treffe ich auf Deb und einen weiteren Kletterer. Ich mache ihr Mut und sage ihr das es nur noch 10 Minuten zum Gipfel sind. Dann steige ich weiter ab und stelle fest, dass es wesentlich leichter geht wie das Aufsteigen. Zum einen hilft der Berg mir jetzt und zum anderen ist da auch mein ausgelatscher Pfad. In einem der Einschnitte der Trail Crest mache ich ein Foto von Iceberg Lake dem Basislager für die technischen Routen auf den Mt Whitney und die Mountaineers Route.

thomasbahr.de iceberg lake

Auf dem Rückweg mache ich noch ein Foto von meinem Weg um dem Besucher dieser Seite einen Eindruck vom Zustand zu geben. Das hier gezeigte Stück ist bei weitem keine der Extremstelle (da wollte ich dann doch nicht fotografieren) zweigt aber gut die mir Schnee aufgefüllten Couloirs die mich ziemlich fertig gemacht haben.

thomasbahr.de trail crest path

Wieder in Trail Crest angekommen fühle ich mich gut und habe viel Zeit um durch die Switchbacks abzusteigen. Zudem ist durch die nachfolgenden 7 Personen der Pfad recht ausgelatscht was es sehr viel einfacher macht wie auf dem Hinweg. Hier ein Blick hinab nach Trail Camp. Die große weiße Fläche neben dem See ist der See aus dem wir unser Trinkwasser gehackt haben, rechts daneben ist Trail Camp. Direkt vor mir liegen die Switchbacks da muss ich runter. Gegen 14 Uhr 30 habe ich es nach Trail Camp geschafft wo ich auf Red treffe der in den Switchbacks umgekehrt ist weil er sich mit der Exposition und dem steilen Schnee nicht sicher fühlte. Eine Entscheidung die mindestens soviel Respekt verdient wie den Gipfel zu bezwingen. Gegen 15 Uhr 20 kommt Deb vom Gipfel zurück und wir verbringen eine letzte Nacht im Zelt. Am nächsten Morgen steigen wir ab. Ich brauche 2 Stunden 20 Minuten nach Whitney Portal. Deb und ich fahren nach Lone Pine wo wir erst mal eine Pizza verdrücken um dann nach Temecula zurückzufahren wo wir um 16 Uhr eintreffen. Ich verabschiede mich von Deb und warte auf den Greyhound zurück nach San Diego. Um kurz nach halb acht bin ich zuhause....


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